Mitten im Leben
Unsere Kirche steht mitten im Dorf, direkt am Marktplatz, umringt von ehemaligen Bauernhöfen, Gastwirtschaften, Metzgereien, Bäckereien und einem Krämerladen. Der Fachwerk-Anbau im Norden erscheint wie eine Sakristei. Tatsächlich befand sich hier die Patronatsloge, das sog. „Herrenstübchen“. Die Sandsteine an der Südfassade verbinden die Kirche mit der Synagoge auf der anderen Seite der Hauptstraße. Anfang des 18. Jahrhunderts gehörten etwa 30 Prozent der Ermreuther Bevölkerung zur jüdischen Gemeinde.
„Ich bin bei dir.“
Wenn Sie in die Kirche kommen, gehen Sie direkt auf zwei große Bildtafeln zu. Es sind Reproduktionen der beiden Seiten einer Tür zur nicht frei zugänglichen Patronatsloge, dem sog. „Herrenstübchen“ (hinter den Fenstern im Altarraum oben links). Die Bilder darauf stammen aus dem frühen 18. Jahrhundert und zeigen grundlegende Gotteserfahrungen: Situationen der Verborgenheit Gottes und Situationen, in denen wir Gottes Zuwendung erfahren.
In den finsteren und erschreckenden Geschichten in den ersten biblischen Büchern spiegeln sich grundlegende Lebenserfahrungen: Abraham, der Urvater des jüdischen Glaubens, der seinen einzigen und lang ersehnten Sohn Isaak opfern soll; er hat bereits den Arm dazu erhoben - da hält ihn ein Engel Gottes zurück. Im Leben der Gläubigen waren es Söhne, die in den Krieg eingezogen wurden oder Töchter, die schon in frühen Jahren sterbenskrank wurden.
Oder Jakob, der mythische Enkel Abrahams, der nachts mit dem Engel Gottes kämpft – und ihn nicht loslässt, bis er gesegnet wird. Auch das ist uns vertraut: In manchen Nächten sind die Ängste und Sorgen so mächtig, dass wir uns hin und her werfen und schließlich schweißgebadet aufwachen.
Aber es gibt eben auch die andere Seite und ganz andere Geschichten von Gott in der Bibel: In einer dieser finsteren Nächten erscheint dem Jakob im Traum eine Leiter, die bis zum Himmel reicht. Darauf kommen Boten Gottes herunter und steigen wieder hinauf: Zeichen eines Austausches mit Gott. Gott steht an der Spitze der Leiter und verspricht: „Ich bin bei dir und will dich behüten auf allen deinen Wegen.“
Dieser Satz ist eine Ausdeutung des Gottesnamens „Ich bin da“. Den erfährt Mose, als er von Gott aus einem brennenden Dornbusch den Auftrag bekommt, das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft zu führen. Daran erinnert die zweite Geschichte auf dieser Seite der „Herrenstübchen“-Tür.
Gott ist Liebe
Den Altaraufbau lesen wir von oben nach unten. Der Gottesname יהוה (= „Jahwe“, das bedeutet: der „Ich-bin-da“) steht fast 7000 mal in der hebräischen Bibel. Aus Ehrfurcht vor Gott gebrauchen ihn fromme Juden allerdings nie, sondern lesen an diesen Stellen jeweils „mein Herr“. Martin Luther hat dies bei seiner Bibelübersetzung übernommen. Deshalb ist auch in christlichen Gottesdiensten so häufig vom „Herrn“ die Rede. Und dann sind selbstverständlich nicht irdische Herrschaften gemeint, sondern die Gegenwart Gottes.
Der „Ich-bin-da“ wird im Bild unter dem Medaillon als Trinität (= „Gott in drei Personen“) dargestellt: links Jesus in der Darstellung des auferstandenen „Königs der Juden“; rechts der „himmlische Vater“ und in der Mitte darüber eine Taube, die sinnbildlich für den Heiligen Geist steht.
Gott in drei „Personen“: Das klingt heute missverständlich. Mit „persona“ wurde im antiken Theaterspiel eine charakteristische Maske bezeichnet. Durch sie hindurch erklang (personare = „hindurchklingen“) eine entsprechende Botschaft. Im Spiel mit anderen „Personen“ wurde diese Botschaft zu einem Ereignis.
Im „Spiel des Lebens“, in den Beziehungen zur Welt und zu anderen Menschen ereignet sich Gott als Macht der Liebe: Alles Leben entsteht durch Liebe und wird durch Liebe erhalten. Jesus hat diese Liebe in der Beziehung zu seinem „Vater im Himmel“ selbst erfahren. Als göttliche Geistkraft wirkt die Liebe zeit- und grenzenlos weiter.
„Und reichst du uns den schweren Kelch, ...
… den bittern des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand.“
Das ist die dritte Strophe des Liedes „Von guten Mächten treu und still umgeben“. Dietrich Bonhoeffer hat den Text im Dezember 1944, kurz vor seiner Hinrichtung durch die Nationalsozialisten gedichtet. In unserem Gesangbuch finden Sie ihn sogar zweimal: unter den Nummern 65 und 637.
Es ist, als hätte Bonhoeffer beim Schreiben der dritten Strophe vor unserem Altar gestanden oder gesessen. Das große Altarbild zeigt den betenden Jesus kurz vor seiner Verhaftung. „Mein Vater“, spricht er, „wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst.“
Das Gebet Jesu scheint vergeblich zu sein: Der Engel deutet an, von wem der Kelch kommt. Auf den ersten Blick scheint dies das Leid noch bitterer zu machen. Und die laute Frage Jesu am Kreuz umso verständlicher: „Mein Gott, mein Gott, weshalb hast du mich verlassen?“
Es ist ein Ringen mit dem Gott, der „Ich bin da“ heißt. Schmerz und Unverständnis. Aber keine Abwendung von diesem Gott, sondern - im Gegenteil - nicht nachlassende Fragen wie: Was hast du mit mir vor? Wie soll es jetzt mit mir weitergehen?
In solchen Fragen liegt die Chance zur Heilung. Es ist gut, ein Gegenüber für solche Fragen zu haben. Einen Gott, mit dem ich wegen meines bitteren Leides ringen kann. Der mich nicht loslässt, so wie ich ihn nicht loslasse - schon gar nicht in den finsteren Zeiten meines Lebens. So kann ich - wie Jakob - aus einem solchen Ringen als gesegnet hervorgehen.
Kelch des Heils
Im kleinen, länglichen Bild darunter wird aus dem „Kelch des Leids“ der „Kelch des Heils“: Jesus isst und trinkt zum letzten Mal zusammen mit seinen zwölf Jüngern. Aber beim „letzten Abendmahl“ geht es um mehr als um Sättigung. Hier überträgt Jesus an die „Zwölf“ seine göttliche Vollmacht. Er gibt ihnen den Auftrag, das zu tun, wofür er sich gesandt wusste: die tröstende und befreiende Botschaft von der Liebe zu leben und weiterzugeben.
Bei der Neugestaltung des Kirchenraums (um das Jahr 1680) wurden Figuren der Namenspatrone unserer Kirche in den Altaraufbau eingefügt: links Petrus, rechts Paulus. Die Figuren stammen vermutlich von einem Nürnberger Altar, der um das Jahr 1500 gefertigt wurde. Beim Einpassen haben beide Figuren je einen Arm verloren.
Am Aufgang zur Kanzel ist eine weitere Petrusfigur angebracht, diesmal nicht mit der typischen „cholerischen Stirnlocke“ wie am Altar. Bei der Apostelfigur an der Wand gegenüber könnte es sich um die Darstellung von Jakobus des Jüngeren handeln. Die Apostelgeschichte nennt ihn als einen der drei Anführer der Jerusalemer Gemeinde. Er soll mit einer sog. Walkerstange erschlagen worden sein. Das Lesepult daneben ist erst Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts aus Fundstücken vom Dachboden des Ermreuther Pfarrhauses zusammengestellt worden.
Am Aufgang zur Kanzel ist eine weitere Petrusfigur angebracht, diesmal nicht mit der typischen „cholerischen Stirnlocke“ wie am Altar. Bei der Apostelfigur an der Wand gegenüber könnte es sich um die Darstellung von Jakobus des Jüngeren handeln. Die Apostelgeschichte nennt ihn als einen der drei Anführer der Jerusalemer Gemeinde. Er soll mit einer sog. Walkerstange erschlagen worden sein. Das Lesepult daneben ist erst Ende der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts aus Fundstücken vom Dachboden des Ermreuther Pfarrhauses zusammengestellt worden.
„Das Alte ist vergangen ...“
Wie ein großer Kelch steht der Taufstein mitten in der Kirche, am Zugang zum Altarraum. So wird die Verbindung zum „Kelch des Heils“ im heiligen Abendmahl deutlich. Sowohl die Taufe als auch das Abendmahl wurden im Mittelalter als „Quelle des Heils“ bezeichnet. In den evangelischen Kirchen sind sie die beiden einzigen Sakramente: Rituale, die die Wirksamkeit Gottes vermitteln.
Unser Taufstein stammt wohl noch aus der Vorläuferin unserer Kirche, einer wesentlich kleineren Schlosskapelle, und ist mehr als 600 Jahre alt. Wie alte Taufkapellen und viele alte Taufsteine ist er achteckig. Damit weist er auf die Auferweckung Jesu als dem „achten Tag der Schöpfung“ hin. Der getaufte Mensch ist „eine neue Kreatur“, wie Paulus in seinem zweiten Brief an die Christen von Korinth schreibt: „Das Alte ist vergangen, siehe Neues ist geworden“.
Wer getauft ist, ist ein Sohn bzw. eine Tochter Gottes. Das bedeutet einerseits: mit den Augen der Liebe freundlich angesehen. Und andererseits dazu beauftragt, „im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes“ zu leben und zu handeln.
„Ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt.“
Das sagt Jesus am Ende des Matthäusevangeliums. Das ist die Botschaft der Altarbilder und des Taufsteins. Und das ist der Kern der christlichen Predigt von Gott.
An der Kanzel ist das dadurch ausgedrückt, dass den Predigthörerinnen und -hörern der auferstandene Christus (im roten Gewand) entgegenblickt. Von ihm und seinen Taten und Worten im Kreis seiner Jünger soll die christliche Predigt handeln. Zuordnen lassen sich nur drei der mit ihm dargestellten Apostel: Auf der Rechten Jesu ist es Johannes (mit dem Kelch), auf seiner Linken dessen Bruder Jakobus (der Ältere, dessen Grab in Santiago de Compostela schon im Mittelalter ein berühmter Pilgerort war) und rechts daneben Judas Thaddäus (mit einer Keule, da er mit einer solchen als Märtyrer erschlagen worden sein soll).
Die Kanzel wird von einer Mose-Figur getragen. Ihre Entstehungszeit um etwa 1500 ist auch am Kopf des Mose abzulesen: Wegen eines Übersetzungsfehlers wurde Mose bis zur Bibelübersetzung durch Martin Luther mit zwei Hörnern dargestellt. Er hält die beiden Tafeln mit den „Zehn Geboten“. Sie sind die Richtschnur, nach der auch die Christen ihr Leben gestalten sollen – im Vertrauen darauf, dass der „Ich-bin-da“-Gott sie begleitet – auch in finsteren Stunden.
Über dem Schalldeckel steht ein Engel mit dem Wappen der Familie von Künßberg, die von 1632 bis 1858 Ermreuth besaßen und um ca. 1680 die Westfassade und den Kirchenraum neu gestalten ließen.